Aktuelle Pressemeldung

< Arzt erwischt den falschen Fuß
05.09.2013 13:45 Alter: 11 yrs
Von: Der Neue Tag

Schwerste Schäden am Gehirn

Bub nach Notgeburt ein Pflegefall - Familie will Schadensersatz in Millionenhöhe


Amberg/ Schwandorf. (hwo) Leon ist fünf Jahre alt. Mit seinen drei Geschwistern wird er nie spielen, auch keine Schule besuchen oder später einen Beruf erlernen können. Leon ist ein Schwerstpflegefall, rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen. Vor dem Amberger Landgericht soll nun geklärt werden, ob bei seiner Geburt irreparable Fehler gemacht wurden. In dem Verfahren geht es um Schadensersatz in Millionenhöhe, den der Anwalt Dr. Burkhard Schulze aus Weiden einfordert. Ein schwieriger Fall für die drei Richter Ewald Ebensberger, Dr. Claudia Arlt und Manuela Zeller. Sie müssen Emotionen außen vor lassen, haben Fakten festzustellen. Über drei Stunden lang wurde zum Prozessauftakt am Mittwoch verhandelt. Dabei kamen Geschehnisse zur Sprache, die niemanden kalt lassen können. Widersprüchliche Angaben Es geht um einen Jungen, der leblos geboren wurde und nach offenbar länger andauernden Herzstillstand reanimiert werden musste. Das gelang zwar. Doch das Gehirn des Buben hatte schweren Schaden genommen. Ein Arzt, eine Hebamme und eine durch Anwältin vertretene Klinik sitzen als Beklagte im Gerichtssaal. Ihnen Fehler und Unzulänglichkeiten vorgehalten, die im März des Jahres 2008 in einem Krankenhaus im Landkreis Schwandorf für eine Familie zur Katastrophe führten. Eine Verknüpfung unglücklicher Zustände? Das, äußerte der Zivilkammervorsitzende Ewald Ebensperger, könne womöglich sein. Gleichwohl kam aus seinem Mund auch der Satz "Es spricht einiges für die Haftung". Drei Geburten hatte eine Frau aus der südlichen Oberpfalz bereits hinter sich. Die letzte davon durch Kaiserschnitt. Also waren für die vierte Niederkunft durchaus Risiken zu befürchten. Am Karsamstag 2008 kam sie in die Klinik im Kreis Schwandorf, wollte elf Tage vor dem eigentlichen Termin eine Geburtseinleitung haben. Zu allem, was danach vor sich ging, gibt es widersprechende Angaben. Der Gynäkologe, an der Klinik als Belegarzt tätig, sagt:"Ich habe die Einleitung abgelehnt." Dennoch blieb die werdende Mutter. Der Mediziner wussste das, eine Hebamme kümmerte sich. Sie ließ die Frau auf Station bringen, soll später - wie die damalige Patientin in Erinnerung behielt - eine Untersuchung am Unterleib vorgenommen haben. "bei der etwas zerriss." Diese Untersuchung bestreitet die Hebamme. Wenige Stunden später kam es, wie es in der Fachsprache heißt zur "Not-Sectio", die der herbeigerufene Belegarzt anordnete. Die Gebärmutter war (was eigentlich als Befürchtung im Raum stand) zerrissen. Eile schien dringend geboten. Doch als das Baby zur Welt gekommen war, atmete es nicht mehr. Reanimierung durch Anästhesisten, Hektik im OP Bereich, wohin man die Frau gebracht hatte. Der kleine Leon atmete dann zwar, doch sein Hirn war dauerhaft geschädigt. Im Vorfeld der prozessualen Auseinadersetzung, bei der es um einen Streitwert von 2,2 Millionen Euro geht, waren auf privater Schiene drei Gutachten in Auftrag gegeben worden. In allen diesen Expertisten sehen Klinik, Arzt und Hebamme nicht gut aus. Zitat:" Unter Einhaltung des geburtshilflichen Standards und Beachtung der Leitlinien wäre die Schädigung des Kindes vermeidbar gewesen." Von Ausstattungsdefiziten ist die Rede, auch von überschrittener Rufbereitschaftszeit. Weitere Gutachten Auf diese Gutachten kann sich die 2. Zivilkammer nicht stützen. "Es muss wohl ein weiteres in Auftrag gegeben werden", deutete Richter Ebensberger zu Beginn der Verhandlung an. Womöglich sogar zwei: Von einem Gynäkologen und von einem Kinderarzt. Dabei wird es sich auch um genaue Handlungsabläufe und Zeiten drehen. Denn bei einem Notfall im Kreißsaal geht es um Sekunden, können Minuten zur Ewigkeit werden. Eine Frage, von keinem gestellt, stand im Raum: Warum ging die Frau als Risikopatientin in eine relativ kleine Klinik? In Amberg oder Regensburg wären Spezialzentren zur Verfügung gestanden. Der Prozess wird demnächst mit einem weiteren Beweiserhebungstermin fortgesetzt.
Quelle: Der Neue Tag vom 05.09.13; Rubrik: Stadt Amberg/Schwandorf