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< Arzt erwischt den falschen Fuß
11.01.2014 00:00 Alter: 10 yrs
Von: Dr. Burkhard Schulze

Arzt- und Strafrecht


Um seiner Berufung als Arzt nachzugehen ist regelmäßig ein Heileingriff am Patienten erforderlich, der seit dem grundliegenden Urteil des Reichsgerichts aus dem Jahr 1894 zunächst eine tatbestandsmäßige Körperverletzung darstellt, die durch die Einwilligung des Patienten gerechtfertigt ist. Der BGH hat diese Rechtsprechung übernommen. Das bedeutet, dass bei Fehlen der Einwilligung des Patienten und beim (allerdings nur schuldhaft) misslungenen Heileingriff eine vorsätzlich oder fahrlässig begangene Körperverletzung vorliegt. In der Literatur und aus Ärztekreisen wird dieser dogmatischen Einordnung des Heileingriffs als Körperverletzung mit Nachdruck widersprochen. Reformvorhaben des Gesetzgebers einen eigenen Tatbestand des Heileingriffs zu schaffen, weil der Arzt im Gegenteil nicht verletzen, sondern heilen will sind, gescheitert. So sieht sich der Arzt nicht selten bei einem misslungenen oder wegen unvollständiger Aufklärung unwirksamen Einwilligung in einen Heileingriff Strafanzeigen, Strafantrag und Strafverfolgung ausgesetzt. Dies unterscheidet die Risiken des Arztberufes von denen eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters, der (nur) Vermögensinteressen wahrzunehmen hat. Denn das Gesetz stellt zwar die fahrlässige Körperverletzung unter Strafe, nicht aber eine „fahrlässige Vermögensbeschädigung". Hieraus ergibt sich die Verpflichtung des Arztes, den Patienten über die vorgesehene Behandlung und deren Verlauf aufzuklären und die mit jedem Heileingriff verbundenen allgemeinen und besonderen Risiken zu benennen, wobei die Aufklärung umso umfassender sein muss, je weniger dringlich der Eingriff ist. Besteht eine echte Behandlungsalternative muss der Arzt auch hierüber aufklären. Als Beispiel wir häufig herangezogen die Aufklärung über konservative oder operative Behandlung eines Knochenbruchs oder einer Sehnenverletzung. Strafrechtlich relevant sind des weiteren nur diejenigen Folgen, die vom Arzt schuldhaft herbeigeführt wurden. Der Rechtsanwalt, an den ein „Arzthaftungsfall" herangetragen wird, muss sich überlegen, ob er strafrechtlich und/oder nur zivilrechtlich vorgeht. Nach allgemeiner Auffassung empfiehlt sich ein Strafantrag nicht, weil aufgrund der gesetzlichen Unschuldsvermutung höhere Beweisanforderungen zum Schuldnachweis erforderlich sind als im Zivilrecht. Hier helfen Grundsätze wie das „voll beherrschbare Risiko", „grobes Verschulden" („Dokumentationsmängel") zur Beweiserleichterung bis hin zu Beweislastumkehr für fehlendes Verschulden des Arztes. Die Vorschaltung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wirkt sich demgegenüber für die Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche häufig eher „kontraproduktiv" aus. In einer wenig beneidenswerten Situation befindet sich der Arzt aber auch deshalb, weil er nicht nur beim vorgenommenen Heileingriff in die Haftung gelangen kann, sondern auch bei der Unterlassung eines gebotenen Heileingriffs, die ebenfalls tatbestandsmäßig ist. Diese Verpflichtung des behandelnden Arztes geht deutlich über die unterlassene Hilfeleistung bei Unglücksfällen hinaus. So haftet der Arzt für die durch nicht ausreichende Schmerztherapie entstehenden Leiden des Patienten und auch anästhesistische Defizite können zur Strafbarkeit wegen Körperverletzung durch Unterlassung führen. Nachgeradezu charakteristisch ist für den Arzt der schmale Grad zwischen der verbotenen Euthanasie und der gebotenen Schmerztherapie, die trotz der damit unter Umständen einhergehenden Lebensverkürzung als sozialadäquat und damit zulässig angesehen wird. Der BGH hat dafür zutreffend festgelegt: „Denn die Ermöglichung eines Todes in Würde und in Schmerzfreiheit gemäß dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen ist ein höherwertiges Rechtsgut als die Aussicht, unter schwerstem, insbesondere sog. Vernichtungsschmerz nur kurze Zeit länger leben zu müssen." Abgesehen vom „echten Scharlatan", der aus materiellen Gründen unnötige und riskante Eingriffe vornimmt, sind strafrechtliche Sanktionen im Arztbereich selten und die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens eher die Regel als die Ausnahme. Rechtsanwalt Dr. Burkhard Schulze Quelle: Der Neue Tag vom 11.01.14; Rubrik: Recht im Alltag