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20.05.2014 00:00 Alter: 10 yrs
Von: Der Neue Tag

Das Motiv: Vergewaltigung

Landgericht verurteilt Tino G. (15) zu acht Jahren Haft - "Direkte Tötungsabsicht"


Weiden. (ca) Am zweiten Verhandlungstag war Tino G. damit herausgerückt: Er habe seine Mitschülerin Aleyna vergewaltigen wollen. Allein aus diesem Grund habe er ihr in der alten Bareuther-Fabrikhalle einen Schotterstein auf den Kopf geschlagen, immer wieder. Er wollte sie handlungsfähig machen. Als er bemerkte, was er angerichtet hatte, dachte der damals 14-Jährige nicht mehr an den erhofften Sex. Aus Angst aufzufliegen schlug er so lange zu, bis er das Mädchen für tot hielt.   Dieser Ablauf des 8. Oktober liegt dem Urteil zugrunde, das das Landgericht Weiden fällte. Die 1. Jugendkammer verurteilte Tino G. wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Der 15-Jährige muss für acht Jahre in Haft. Das Jugendgerichtsgesetz lässt bei guter Prognose eine Entlassung nach einem Drittel zu, in der Regel wird aber die Halbstrafe abgesessen. Aleynas Familie kommentierte das Urteil noch am Nachmittag: "Wir wissen, dass das Gericht seine Möglichkeiten ausgeschöpft hat", sagte Aleynas erwachsene Schwester Nesrin: "Aber keine Strafe der Welt wäre dem angemessen, was unserer Familie widerfahren ist."   Fast ein "Zufallsopfer"   Es sind die Details, die den Waldsassener Fall so unfassbar machen. Tino G. hatte in den Tagen davor schon zwei Mädchen per WhatsApp kontaktiert. Sie ließen ihn abblitzen. Bei Aleyna - vom Gericht als "Lamm" charakterisiert - konnte er landen. Sie machte ihm zwar am Vortag beim Austausch von Kurznachrichten keine Hoffnungen auf "mehr". Aber sie traf sich mit ihm zu einem Rendezvous. Arglos. Seine letzte SMS las sie nicht mehr: "Ich vergewaltige dich."   Sie las diese SMS nicht mehr, weil ihr Tino G. das Handy abnahm. Dann lockte er sie unter anderem mit dem Versprechen "Geh mit, und du kriegst dein Handy wieder" in den hintersten Winkel des Geländers. Bei einer Umarmung im ehemaligen Technikraum der Fabrik schlug er zu - für das Mädchen völlig überraschend. Nach acht bis zehn Schlägen, so der Rechtsmediziner, ließ er zunächst ab. Tino G. gestand, den Raum kurzzeitig verlassen zu haben. Als er Aleyna aber von draußen jammern hörte, kehrte er noch einmal zurück, klaubte dabei ein Teil eines Glasbausteins und eine Wodkaflasche auf. Die Flasche zog er ihr über den Kopf, mit der Scherbe stach er in den Halsbereich zu. Das Gericht unter Vorsitz von Landgerichtspräsident Walter Leupold geht davon aus, dass der Täter glaubte, sie sei tot oder sterbe. Ihr Handy nahm er mit und warf es weg.   Heimtücke und Verdeckung einer Straftat. Diese Mordmerkmale legte das Gericht dem Urteil zugrunde. Leupold erklärte den "Vorsatzwechsel": Zunächst habe der Angeklagte das Mädchen niedergeschlagen, um es für eine Vergewaltigung gefügig zu machen. Dann habe er weiter zugeschlagen, um diese Straftat zu vertuschen. "Er handelte mit direktem Tötungsvorsatz", sagte Landgerichtssprecher Markus Fillinger nach der Urteilsverkündung. Die Höchststrafe von zehn Jahren sei aus drei Gründen nicht ausgesprochen worden: Tino G. war sehr jung, die Tat wurde nicht vollendet, er war geständig.   Der Angeklagte, der auf Prozessbeteiligte einen "sehr, sehr jungen, kindlichen Eindruck machte", reagierte schon auf das Plädoyer von Oberstaatsanwalt Rainer Lehner schockiert. Lehner forderte acht Jahre, ebenso Nebenklagevertreter Dr. Burkhard Schulze. Bei seinem "letzten Wort" brach Tino G. heftig in Tränen aus. Es tue im leid, er sei froh, dass Aleyna überlebt habe. Der Rest ging in Schluchzen unter.   Colbatz: Es bleiben Rätsel   Verteidiger Rouven Colbatz hatte auf fünf Jahre plädiert. Er verwies auf einige Ungereimtheiten, wie etwa die Distanz zwischen Blutlache und Auffindeort oder auch auf Zeugenaussagen, wonach zwischen 18 und 21 Uhr Aleynas Handy zeitweise erreichbar, zeitweise ausgeschaltet war. Colbatz zog Revision beim Bundesgerichtshof in Betracht. Kollege Dr. Burkhard Schulze, der die Familie vertrat, sah das anders: "Das Urteil ist gerecht, nicht besonders mild, aber es entspricht der Schwere der Schuld und den Vorstellungen der Familie."   Leupold stellte bei der Urteilsbegründung noch einmal klar, dass Aleyna sich nichts habe zu Schulden kommen lassen. Von ihr sei keinerlei Provokation oder anderes Verhalten ausgegangen, das einen Anlass für solche Gewalt gegeben habe.     Reaktion der Familie von Aleyna   "Wir wissen, dass das Gericht seine Möglichkeiten ausgeschöpft hat", kommentierten Aleynas Schwestern Nesrin und Nermin Y. gegenüber dem NT das Urteil. "Aber keine Strafe der Welt ist dem angemessen, was unserer Familie widerfahren ist."   Die Schwestern (31 und 32 Jahre alt) erinnern sich an eine schöne Kindheit, einen liebevollen Vater und eine gute Mutter, einfach eine harmonische Familie mit Nesthäkchen Aleyna (14). Das alles sei zerstört. Der Vater starb im Januar im Alter von nur 51 Jahren einen Herztod. "Wir haben Aleyna nach der Tat nicht wiedererkannt. Ihr Gesicht war komplett zertrümmert. Auch unser Vater hat das gesehen, und es hat ihm das Herz gebrochen."   "Aleyna ist nicht mehr, wie sie früher war", beschreiben die Schwestern, die die Jüngste zeitweise in München aufgenommen haben. Aber die 14-Jährige wolle nicht dauerhaft in der Landeshauptstadt leben: "Sie will ihr Umfeld, ihre Freunde, ihre Lehrer nicht aufgeben." Aleyna habe sich sehr über aufmunternde Briefe gefreut. Ohnehin: "Die Solidarität hat uns gutgetan." Über die Tat spreche Aleyna nach wie vor so gut wie überhaupt nicht. Über die Höhe des Urteils werde sie von einer Psychologin informiert.   Der Fokus richte sich aktuell auf eine anstehende Operation: "Darauf konzentrieren wir uns." Das Mädchen trägt elf Titanplatten im Gesicht. Ob Aleyna irgendwann ein normales Leben führen kann, sich verlieben kann? "Das wird viel Zeit und Kraft brauchen. Wir haben die Hoffnung, dass sie das Vertrauen in die Menschen wiederfindet. Das ist unsere Hoffnung, und die Hoffnung stirbt zuletzt." (ca)   Quelle: Der Neue Tag vom 20.05.14; Rubrik: Stadt Weiden