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< Arzt erwischt den falschen Fuß
19.09.2015 00:00 Alter: 8 yrs
Von: Dr. Burkhard Schulze

Arztfehler

Leitlinien als Richtschnur für ärztliches Handeln Abweichung für Arzt riskant


Der Patient hat aufgrund seines Behandlungsvertrags mit dem Arzt Anspruch auf fachgerechte Befunderhebung, Diagnose und Behandlung. Ist die Befunderhebung fehlerhaft, die Behandlung missglückt und ein Gesundheitsschaden entstanden, haften Arzt und Krankenhaus (nur) wenn schuldhaftes ärztliches Fehlverhalten vorliegt.   Für die Beurteilung von Bedeutung sind hierbei die durch medizinische Fachgesellschaften aufgestellten und bei Bedarf fortgeschriebenen Behandlungsleitlinien.   Solche Therapieleitlinien können allerdings auch vom medizinischen Standard abweichen, sie können Standards ärztlicher Behandlung neu entwickeln, aber auch überholt sein. Sachverständige greifen in der Regel auf diese von den Fachgesellschaften normierten Leitlinien zurück. Wer sich leitliniengerecht als Arzt verhält, ist gewissermaßen auf der sicheren Seite. Allerdings ist zu beachten, dass diese Standards historisch bedingt und dauernden Veränderungen unterworfen sind. Ihre Veränderbarkeit ist nach geradezu ein Wesensmerkmal.   Auch neue Erkenntnisse in der medizinischen Technik führen zwangsläufig zu Qualitätsunterschieden in der Behandlung von Patienten. Während eine große Universitätsklinik mit dem Maßstab der Maximalversorgung gemessen wird, gibt es qualitativ gut ausgestattete Spezialkliniken oder aber auch (immer noch) Krankenhäuser der Allgemeinversorgung.   Einig ist man sich darüber, dass ein Mindeststandard als unverzichtbare Basisschwelle nicht unterschritten werden darf. Ggf. muss ein eingelieferter Patient unverzüglich an eine geeignete größere Klinik verlegt werden.   Das OLG Hamm hatte kürzlich zu entscheiden ob eine Ellenbogenverletzung mit nachfolgender Nerverletzung ein ärztlicher Fehler war, weil nicht offen operiert worden sei. Der Arzt war von einer einschlägigen Leitlinie für diese Operation abgewichen.   Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass ein fehlerhaftes ärztliches Verhalten vorliege: Leitlinien können zwar nicht mit dem Standard gleichgesetzt werden, sie würden jedoch "Wegweiser für den medizinischen Standard" darlegen, so dass das Abweichen einer besonderen Rechtfertigung bedurft hätte, die nicht ersichtlich gewesen sei.   Einen weiteren markanten Fall hat der BGH mit Urteil vom 15.04.14 VI ZR 382/12 entschieden:   Die Mutter hatte eine Risikoschwangerschaft. Das Kind hat einen schweren Geburtsschaden erlitten. Die rechtzeitige Überweisung in ein Perinatalzentrum vor der Geburt war jedenfalls zwischen 1989 und 1995 noch nicht Standard, und die maßgebliche Fachgesellschaft hatte seinerzeit eine derartige Empfehlung gerade noch nicht ausgesprochen.   Wenn zum damaligen Zeitpunkt die Leitlinien der Gesellschaft für Neonatologie eine solche Verlegung schon vorgesehen hätten, sei dies nicht maßgeblich, weil das Fachgebiet des Gynäkologen und nicht der Neonatologie gefragt war (heute ist die rechtzeitige Überweisung in ein Perinatalzentrum bei Risikogeburten Standard geworden).   In einer weiteren aktuellen Entscheidung hat der BGH entschieden, dass das Unterlassen einer halbjährlichen EKG-Untersuchung eines Patienten nach Verordnung eines starken Medikaments wegen einer Psychose ein schuldhafter ärztlicher Fehler sei. Das OLG hatte dies zuvor abgelehnt, weil die Leitlinien insoweit nur eine "Empfehlung" enthalten hätten. Der BGH hat es aber für ausreichend erachtet, dass hier entgegen der Empfehlung und des darauf basierenden Sachverständigengutachtens das Gericht eigenmächtig abgewichen war.   Für die Praxis bedeutet die Rechtsprechung, dass vor der Erhebung von Ansprüchen durch Inanspruchnahme fachlicher und rechtlicher Hilfe zunächst geprüft wird, ob eine misslungene Behandlung eine schicksalhafte Komplikation, die nicht zu vermeiden ist, darstellt, oder ihm ein schuldhaftes oder ärztliches Fehlverhalten zugrunde liegt, wobei auf jeden Fall die entsprechenden Leitlinien in der Regel schon einen deutlichen Hinweis geben. Dies zu prüfen, ggf. unter Beauftragung eines Privatgutachten vor Klageerhebung, ist Inhalt einer versierten anwaltlichen Beratung.   Rechtsanwalt Dr. Burkhard Schulze   Quelle: Der Neue Tag vom 19.09.15; Rubrik: Recht im Alltag                                                   Der Patient hat aufgrund seines Behandlungsvertrags mit dem Arzt Anspruch auf fachgerechte Befunderhebung, Diagnose und Behandlung. Ist die Befunderhebung fehlerhaft, die Behandlung missglückt und ein Gesundheitsschaden entstanden, haften Arzt und Krankenhaus (nur) wenn schuldhaftes ärztliches Fehlverhalten vorliegt.   Für die Beurteilung von Bedeutung sind hierbei die durch medizinische Fachgesellschaften aufgestellten und bei Bedarf fortgeschriebenen Behandlungsleitlinien.   Solche Therapieleitlinien können allerdings auch vom medizinischen Standard abweichen, sie können Standards ärztlicher Behandlung neu entwickeln, aber auch überholt sein. Sachverständige greifen in der Regel auf diese von den Fachgesellschaften normierten Leitlinien zurück. Wer sich leitliniengerecht als Arzt verhält, ist gewissermaßen auf der sicheren Seite. Allerdings ist zu beachten, dass diese Standards historisch bedingt und dauernden Veränderungen unterworfen sind. Ihre Veränderbarkeit ist nach geradezu ein Wesensmerkmal.   Auch neue Erkenntnisse in der medizinischen Technik führen zwangsläufig zu Qualitätsunterschieden in der Behandlung von Patienten. Während eine große Universitätsklinik mit dem Maßstab der Maximalversorgung gemessen wird, gibt es qualitativ gut ausgestattete Spezialkliniken oder aber auch (immer noch) Krankenhäuser der Allgemeinversorgung.   Einig ist man sich darüber, dass ein Mindeststandard als unverzichtbare Basisschwelle nicht unterschritten werden darf. Ggf. muss ein eingelieferter Patient unverzüglich an eine geeignete größere Klinik verlegt werden.   Das OLG Hamm hatte kürzlich zu entscheiden ob eine Ellenbogenverletzung mit nachfolgender Nerverletzung ein ärztlicher Fehler war, weil nicht offen operiert worden sei. Der Arzt war von einer einschlägigen Leitlinie für diese Operation abgewichen.   Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass ein fehlerhaftes ärztliches Verhalten vorliege: Leitlinien können zwar nicht mit dem Standard gleichgesetzt werden, sie würden jedoch "Wegweiser für den medizinischen Standard" darlegen, so dass das Abweichen einer besonderen Rechtfertigung bedurft hätte, die nicht ersichtlich gewesen sei.   Einen weiteren markanten Fall hat der BGH mit Urteil vom 15.04.14 VI ZR 382/12 entschieden:   Die Mutter hatte eine Risikoschwangerschaft. Das Kind hat einen schweren Geburtsschaden erlitten. Die rechtzeitige Überweisung in ein Perinatalzentrum vor der Geburt war jedenfalls zwischen 1989 und 1995 noch nicht Standard, und die maßgebliche Fachgesellschaft hatte seinerzeit eine derartige Empfehlung gerade noch nicht ausgesprochen.   Wenn zum damaligen Zeitpunkt die Leitlinien der Gesellschaft für Neonatologie eine solche Verlegung schon vorgesehen hätten, sei dies nicht maßgeblich, weil das Fachgebiet des Gynäkologen und nicht der Neonatologie gefragt war (heute ist die rechtzeitige Überweisung in ein Perinatalzentrum bei Risikogeburten Standard geworden).   In einer weiteren aktuellen Entscheidung hat der BGH entschieden, dass das Unterlassen einer halbjährlichen EKG-Untersuchung eines Patienten nach Verordnung eines starken Medikaments wegen einer Psychose ein schuldhafter ärztlicher Fehler sei. Das OLG hatte dies zuvor abgelehnt, weil die Leitlinien insoweit nur eine "Empfehlung" enthalten hätten. Der BGH hat es aber für ausreichend erachtet, dass hier entgegen der Empfehlung und des darauf basierenden Sachverständigengutachtens das Gericht eigenmächtig abgewichen war.   Für die Praxis bedeutet die Rechtsprechung, dass vor der Erhebung von Ansprüchen durch Inanspruchnahme fachlicher und rechtlicher Hilfe zunächst geprüft wird, ob eine misslungene Behandlung eine schicksalhafte Komplikation, die nicht zu vermeiden ist, darstellt, oder ihm ein schuldhaftes oder ärztliches Fehlverhalten zugrunde liegt, wobei auf jeden Fall die entsprechenden Leitlinien in der Regel schon einen deutlichen Hinweis geben. Dies zu prüfen, ggf. unter Beauftragung eines Privatgutachten vor Klageerhebung, ist Inhalt einer versierten anwaltlichen Beratung.