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< Arzt erwischt den falschen Fuß
Weiden. Mit einem Lächeln rollt Chiara F. ins Büro ihres Rechtsanwalts, geradewegs auf den Schreibtisch zu. Dahinter stoppt sie ihren Rollstuhl, ganz keck gleich neben Dr. Burkhard Schulze und den Akten. Die 18-Jährige kennt den Weg. Oft nahm sie ihn auf sich, seit sie nach einer Operation an der Wirbelsäule im April 2009 aufgewacht ist und ab dem fünften Brustwirbel abwärts querschnittsgelähmt war. Warum das passiert ist? "Der Arzt hat einen Fehler gemacht", erklärt Chiara F. schlicht. Zu dem Schluss kam nun auch das Landgericht Regensburg. Rückblick: Chiaras Mutter erinnert sich gut an diesen Abend im April 2008. Ihre Tochter bückt sich nach ihrem Schlafanzug. Dabei entdeckt die Mutter eine Art Buckel, der zwischen Hüfte und Brust der Zehnjährigen hervortritt. Zwei Wochen später stellen die Ärzte einer Fachklinik im Süden der Oberpfalz die Diagnose. Das Mädchen leidet - vermutlich genetisch bedingt - unter einer Skoliose, einer seitlichen Wirbelsäulenverkrümmung. Die Therapie beginnt. Korsett nicht genug Zunächst mit einem Gipskorsett, das die Zehnjährige bis zu 23 Stunden täglich trägt - mit mäßigem Korrekturerfolg. Deshalb kommt eine operative Aufrichtung der Wirbelsäule mit Hilfe von Stäben und Schrauben, die das Rückgrat geradeziehen, ins Gespräch. Am 1. April 2009 ist es soweit. Ein Arzt an der gleichen Klinik operiert Chiara F. Er gilt als Kapazität auf diesem Gebiet. Doch nach der Operation spürt die Elfjährige ihre Beine nicht mehr. "Dass die Gefahr einer Querschnittslähmung besteht, darüber hat man mich unzureichend aufgeklärt", klagt die 18-Jährige. Was während des fünfeinhalbstündigen Eingriffs im April 2009 passiert ist, beschäftigt fortan die Justiz und drei Gutachter. Die entscheidende Expertise besagt, der Arzt hat fehlerhaft gehandelt, weil er versäumte, während der OP einen Aufwachtest durchzuführen, bei dem er festgestellt hätte, dass die Patientin ihre Beine nicht bewegen kann. Stattdessen berichtet Chiara: "Als ich aufwachte und sagte, kein Gefühl in den Beinen zu haben, hieß es nur, mein Rückenmark ist wegen eines Eingriffs beleidigt." Erst am Folgetag, als die Lähmung immer noch anhält, erfolgt eine weitere Operation. Stäbe und Schrauben werden entfernt - zu spät. Schließlich bringt ein Hubschrauber die Elfjährige in die Klinik für Rückenmarksverletzungen nach Bayreuth. Sechs Monate bleibt Chiara F. dort, um sich an ihr neues Leben im Rollstuhl zu gewöhnen. Im November trifft die 18-Jährige im Gerichtssaal nach Jahren wieder auf den Operateur von damals. Es ist ein bitterer Moment, als der Mann auf Chiara zugeht, ihr die Hand reicht und mit Tränen in den Augen sagt: "Egal wie das ausgeht, ich wünsch' dir alles Gute." Ausgegangen ist es wie folgt: Das Landgericht attestiert dem Arzt einen Behandlungsfehler. Die Folge: Das Gericht spricht der 18-Jährigen Schmerzensgeld in Höhe von 400 000 Euro plus Zinsen zu. Zu zahlen habe es der Operateur sowie die Klinik, bei der er angestellt ist. Obendrein sind beide Parteien verpflichtet, sämtliche materielle Schäden, die in Folge der Operation entstanden sind oder noch entstehen werden, zu ersetzen. Therapiemaßnahmen etwa oder Pflegemehraufwand. Auch Verdienstentgang bis hin zur Altersrente. Wie sich Chiara F. nach dem Urteil fühlt? Erleichtert. Sie hofft, dass der Streit endlich ein Ende hat, die gegnerische Partei bis zum Fristablauf kurz vor Weihnachten keine Berufung einlegt. Dann bleibt endlich wieder mehr Zeit für die Hobbys wie Rollstuhlbaskettball beim BVS Weiden. Wie ihre Altersgenossen geht die 18-Jährige auch gern aus. "Im Atemlos' haben sie extra eine Rampe für mich gebaut." Und die neuen Medien, insbesondere die sozialen Netzwerke, bezeichnet sie als Segen für Menschen mit Behinderung: "So kann ich Kontakte pflegen." Das klingt nach viel Zuversicht. Und die braucht Chiara F. auch. Denn einfach ist es nicht immer. Traumberuf Kinderpflegerin Die Mutter umsorgt die Volljährige, macht sie fit für den Tag, kümmert sich auch nachts um sie. Bitter ist auch, dass Chiara nach zwei Jahren ihre Lehre bei der Telekom abbrechen musste. Der berufliche Stress belastete sie körperlich zu sehr. Trotzdem hadert die junge Frau nicht mit ihrem Schicksal. "Scheinbar ist das mein Weg. Scheinbar hat das alles so sein sollen. Der Arzt hat das bestimmt nicht mit Absicht gemacht", sagt sie. Aktuell absolviert die 18-Jährige ein berufsvorbereitendes Jahr in einem Kindergarten der Stadt. Kinderpflegerin ist ihr Traumberuf. Was sie den Kleinen sagt, wenn sie sie auf ihren Rollstuhl ansprechen? Das Gleiche wie dem Richter: "Der Arzt hat einen Fehler gemacht." Quelle: Der Neue Tag vom 09.12.15; Rubrik: Stadt Weiden
Vom OP-Tisch in den Rollstuhl
Chiara F. tanzt gern Hip-Hop. Den Auftritt am 1. April 2009 muss die elfjährige Weidnerin aber absagen: Sie wird an der verkrümmten Wirbelsäule operiert. Als das Mädchen aus der Nakose erwacht, sind Tanzschritte passé. Sie ist querschnittsgelähmt. Ein Schicksalsschlag oder ein Fehler des Arztes? Ein jahrelanger Rechtsstreit beginnt. Nun hat das Landgericht Regensburg entschieden.
Weiden. Mit einem Lächeln rollt Chiara F. ins Büro ihres Rechtsanwalts, geradewegs auf den Schreibtisch zu. Dahinter stoppt sie ihren Rollstuhl, ganz keck gleich neben Dr. Burkhard Schulze und den Akten. Die 18-Jährige kennt den Weg. Oft nahm sie ihn auf sich, seit sie nach einer Operation an der Wirbelsäule im April 2009 aufgewacht ist und ab dem fünften Brustwirbel abwärts querschnittsgelähmt war. Warum das passiert ist? "Der Arzt hat einen Fehler gemacht", erklärt Chiara F. schlicht. Zu dem Schluss kam nun auch das Landgericht Regensburg. Rückblick: Chiaras Mutter erinnert sich gut an diesen Abend im April 2008. Ihre Tochter bückt sich nach ihrem Schlafanzug. Dabei entdeckt die Mutter eine Art Buckel, der zwischen Hüfte und Brust der Zehnjährigen hervortritt. Zwei Wochen später stellen die Ärzte einer Fachklinik im Süden der Oberpfalz die Diagnose. Das Mädchen leidet - vermutlich genetisch bedingt - unter einer Skoliose, einer seitlichen Wirbelsäulenverkrümmung. Die Therapie beginnt. Korsett nicht genug Zunächst mit einem Gipskorsett, das die Zehnjährige bis zu 23 Stunden täglich trägt - mit mäßigem Korrekturerfolg. Deshalb kommt eine operative Aufrichtung der Wirbelsäule mit Hilfe von Stäben und Schrauben, die das Rückgrat geradeziehen, ins Gespräch. Am 1. April 2009 ist es soweit. Ein Arzt an der gleichen Klinik operiert Chiara F. Er gilt als Kapazität auf diesem Gebiet. Doch nach der Operation spürt die Elfjährige ihre Beine nicht mehr. "Dass die Gefahr einer Querschnittslähmung besteht, darüber hat man mich unzureichend aufgeklärt", klagt die 18-Jährige. Was während des fünfeinhalbstündigen Eingriffs im April 2009 passiert ist, beschäftigt fortan die Justiz und drei Gutachter. Die entscheidende Expertise besagt, der Arzt hat fehlerhaft gehandelt, weil er versäumte, während der OP einen Aufwachtest durchzuführen, bei dem er festgestellt hätte, dass die Patientin ihre Beine nicht bewegen kann. Stattdessen berichtet Chiara: "Als ich aufwachte und sagte, kein Gefühl in den Beinen zu haben, hieß es nur, mein Rückenmark ist wegen eines Eingriffs beleidigt." Erst am Folgetag, als die Lähmung immer noch anhält, erfolgt eine weitere Operation. Stäbe und Schrauben werden entfernt - zu spät. Schließlich bringt ein Hubschrauber die Elfjährige in die Klinik für Rückenmarksverletzungen nach Bayreuth. Sechs Monate bleibt Chiara F. dort, um sich an ihr neues Leben im Rollstuhl zu gewöhnen. Im November trifft die 18-Jährige im Gerichtssaal nach Jahren wieder auf den Operateur von damals. Es ist ein bitterer Moment, als der Mann auf Chiara zugeht, ihr die Hand reicht und mit Tränen in den Augen sagt: "Egal wie das ausgeht, ich wünsch' dir alles Gute." Ausgegangen ist es wie folgt: Das Landgericht attestiert dem Arzt einen Behandlungsfehler. Die Folge: Das Gericht spricht der 18-Jährigen Schmerzensgeld in Höhe von 400 000 Euro plus Zinsen zu. Zu zahlen habe es der Operateur sowie die Klinik, bei der er angestellt ist. Obendrein sind beide Parteien verpflichtet, sämtliche materielle Schäden, die in Folge der Operation entstanden sind oder noch entstehen werden, zu ersetzen. Therapiemaßnahmen etwa oder Pflegemehraufwand. Auch Verdienstentgang bis hin zur Altersrente. Wie sich Chiara F. nach dem Urteil fühlt? Erleichtert. Sie hofft, dass der Streit endlich ein Ende hat, die gegnerische Partei bis zum Fristablauf kurz vor Weihnachten keine Berufung einlegt. Dann bleibt endlich wieder mehr Zeit für die Hobbys wie Rollstuhlbaskettball beim BVS Weiden. Wie ihre Altersgenossen geht die 18-Jährige auch gern aus. "Im Atemlos' haben sie extra eine Rampe für mich gebaut." Und die neuen Medien, insbesondere die sozialen Netzwerke, bezeichnet sie als Segen für Menschen mit Behinderung: "So kann ich Kontakte pflegen." Das klingt nach viel Zuversicht. Und die braucht Chiara F. auch. Denn einfach ist es nicht immer. Traumberuf Kinderpflegerin Die Mutter umsorgt die Volljährige, macht sie fit für den Tag, kümmert sich auch nachts um sie. Bitter ist auch, dass Chiara nach zwei Jahren ihre Lehre bei der Telekom abbrechen musste. Der berufliche Stress belastete sie körperlich zu sehr. Trotzdem hadert die junge Frau nicht mit ihrem Schicksal. "Scheinbar ist das mein Weg. Scheinbar hat das alles so sein sollen. Der Arzt hat das bestimmt nicht mit Absicht gemacht", sagt sie. Aktuell absolviert die 18-Jährige ein berufsvorbereitendes Jahr in einem Kindergarten der Stadt. Kinderpflegerin ist ihr Traumberuf. Was sie den Kleinen sagt, wenn sie sie auf ihren Rollstuhl ansprechen? Das Gleiche wie dem Richter: "Der Arzt hat einen Fehler gemacht." Quelle: Der Neue Tag vom 09.12.15; Rubrik: Stadt Weiden