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Der Einzelfall ist zu prüfen
Auslandsreise des Kindes: Müssen beide Elternteile zustimmen?
Nach der Scheidung bleibt es grundsätzlich bei der gemeinsamen Sorge der Eltern für ihre minderjährigen Kinder. Entscheidungen, die für das Kind von erheblicher Bedeutung sind, sind deshalb weiterhin gemeinsam zu treffen.
Plant ein Elternteile eine Urlaubsreise mit dem Kind, ist die Zustimmung des anderen Elternteils in der Regel nicht erforderlich. In den letzten Jahren ist eine Änderung in der Beurteilung durch die Rechtsprechung eingetreten:
Eine Auslandsreise des Kindes wurde früher als eine Angelegenheit des täglichen Lebens angesehen, so dass der Elternteil, bei dem sich das Kind gewöhnlich aufhält, ohne Zustimmung des anderen diese Auslandsreise durchführen konnte.
Angesichts der in den letzten Jahren zunehmenden Terroranschläge im näheren und ferneren Ausland ist jetzt nach der Rechtsprechung in jedem Einzelfall zu prüfen, ob der andere Elternteil, der sich Sorge um die Sicherheit seines Kindes macht, einer solchen Reise zustimmen muss.
In einer aktuellen Entscheidung hat das Oberlandesgericht Frankfurt - Beschluss vom 21.07.2016 AZ: 5 UF 206/16 - entschieden, dass bei gemeinsamer elterlicher Sorge die Entscheidung, mit dem Kind eine Urlaubsreise in die Türkei (Bereich Antalya) unter den gegenwärtigen dortigen Verhältnissen nicht der Alleinentscheidungsbefugnis des § 1687 I S 2 BGB unterfällt.
Das für die Familiengerichte Weiden, Schwandorf, Amberg und Tirschenreuth zuständige Oberlandesgericht Nürnberg hat bei ähnlicher Konstellation gegenteilig geurteilt und den Widerspruch des Vaters gegen die Türkeireise des minderjährigen Kindes mit der Mutter zurückgewiesen.
In einem aktuellen Hinweisbeschluss vom 05. August 2016 hat das Gericht entschieden, dass der Ort Sivas (Izmir) nicht in den besonders unruhigen Gebieten im Südosten der Türkei liegt und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass in dieser Region eine besondere, die überall bestehende Gefährdung übersteigende Bedrohung für das Wohlergehen des Kindes bestehe - Verfügung des OLG Nürnberg vom 05.08.2016, AZ: 11 UF 970/16. Die Gerichte werden deshalb in jedem einzelnen Fall, wenn das Problem an sie herangetragen wird, entscheiden müssen, ob es sich um eine Reise in ein Krisengebiet handelt, weil dann die Zustimmung beider Elternteile erforderlich ist.
Liegt eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes vor, wird der Einspruch des anderen Elternteils wohl begründet sein. Andererseits kann aber aus dem Umkehrschluss des Fehlens einer Reisewarnung nicht davon ausgegangen werden, dass diese Reise nicht zustimmungsbedürftig ist. Auch der Zweck der Reise soll von Bedeutung sein. Ist das Ziel der Reise z.B. der Besuch von engen Verwandten türkischstämmiger Eltern, kann die Zustimmung des ablehnenden Ehegatten wohl eher ersetzt werden, als bei einer reinen Urlaubsreise (OLG Köln, FamRZ 2005, 644).
Mit derartigen Konstellationen werden sich die Familiengerichte zunehmend befassen müssen. Terroranschläge nehmen zu und haben sich in letzter Zeit auch im europäischen Ausland ereignet (Paris, Nizza, Brüssel). Nachdem Terroranschläge bevorzugt auch in Flughäfen stattfinden, wird sich generell die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit von Auslandsreisen stellen.
Muss dann nicht in der heutigen Zeit konsequenterweise bei jeder längeren Reise, sei es mit der Bahn oder dem Flugzeug, auch im Inland eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung angesichts einer allgegenwärtigen Bedrohung durch Terroranschläge angenommen werden?
Insofern beschränkt sich also die hier erörterte Frage nicht auf bestimmte Auslandsreisen in ein Krisengebiet und liegt nicht auch eine Frage von erheblicher Bedeutung für das Kindeswohl vor, wenn ein Elternteil mit dem Pkw/Wohnmobil/Wohnwagen eine Urlaubsreise von Rosenheim nach Sylt plant? Angeblich ist die statistische Wahrscheinlichkeit, auf der Autobahn zu verunglücken, deutlich höher, als einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen.
Die Familiengerichte werden also in jedem Fall gefordert sein, die Interessen des Kindes gegeneinander abzuwägen und die der Elternteile mit einzubeziehen haben.
Rechtsanwalt Dr. Burkhard Schulze
Quelle: Der Neue Tag vom 19./20.11.2016; Rubrik: Recht im Alltag - Fachanwälte