Aktuelle Pressemeldung

< Arzt erwischt den falschen Fuß
17.12.2016 00:00 Alter: 7 yrs
Von: Rechtsanwalt Dr. Burkhard Schulze

Wer ist mein Vater?

Kann das Kind den biologischen Vater auf Auskunft in Anspruch nehmen?


Die Dunkelziffer von „Kuckuckskindern" in Deutschland liegt nach verschiedenen Schätzungen zwischen 3,7 % und 30 %. Selbst bei 3,7 % wären das in Deutschland immer noch 25.900 „Kuckuckskinder" pro Jahr in Deutschland, d. h. ihr rechtlicher Vater wäre nicht ihr biologischer Vater. 
Im Vordergrund stand bislang die rechtliche Regelung unter welchen Voraussetzungen der mögliche Scheinvater das Recht hat diese Zweifel durch einen DNA-Test zu beseitigen oder eine entsprechende Bestätigung zu erhalten.
Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 09.04.2016 - 1 BvR 3309/13) hat die Vorschrift des § 1598 a BGB wieder in den öffentlichen Fokus gerückt:
Nach dieser Vorschrift kann zur Klärung der leiblichen Abstammung des Kindes 
1.der Vater jeweils von Mutter und Kind
2.die Mutter jeweils von Vater und Kind und
3.das Kind jeweils von beiden Elternteilen verlangen, dass diese in eine genetische Abstammungsuntersuchung einwilligen und die Entnahme einer genetischen Probe dulden. Nur dann, wenn und solange die Klärung eine erhebliche Beeinträchtigung des Wohls des minderjährigen Kindes begründen würde, die auch unter Berücksichtigung der Belange des Klärungsberechtigten für das Kind unzumutbar wäre, kann ein Gericht ein entsprechendes Verfahren aussetzen. Daraus ergibt sich im Gegenschluss, dass, wenn das Kind Zweifel an seinem rechtlichen Vater hat, ohne weiteres diesem und der Mutter gegenüber ein Recht auf ein Abstammungsgutachten hat. 
Dieses Verfahren hat keine besonderen rechtlichen Voraussetzungen, ist aber insoweit folgenlos, als aus diesem Ergebnis weder Unterhalts- noch Erbansprüche hergeleitet werden können. Hierfür bleibt es bei den bisherigen Anfechtungsvorschriften, die nachweisbar begründete Zweifel voraussetzen und einer zweijährigen Anfechtungsfrist unterliegen, das Kind selbst ist hierzu auch nach Eintritt der Volljährigkeit berechtigt. Dieses Klärungsrecht wurde als Reaktion darauf gesetzlich verankert, nachdem höchstrichterlich geklärt war, dass der „heimliche Vaterschaftstest" zu einem Verwertungsverbot führt. Das Bundesverfassungsgericht hat in der genannten Entscheidung nun die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift zugunsten des (vermeintlich) biologischen Vaters abgelehnt. Umgekehrt kann das Kind außerhalb der Anfechtungsvorschriften den (vermeintlich) biologischen Vater also nicht zum DNA-Test zwingen. Das Gericht hat ausgeführt, dass dies zwar eine Möglichkeit ist, aber ohne Tätigwerden des Gesetzgebers sich der Anspruch nicht unmittelbar aus dem Grundrecht auf Kenntnis der genetischen Abstammung ergibt. Es gelte hier auch die Persönlichkeits-Grundrechte sowie das Recht des immer nur potentiellen biologischen Vaters und seiner Familie in die Interessenabwägung mit einzubeziehen. Ein Anspruch „ins Blaue hinein" sei nicht durch einen voraussetzungslosen Anspruch ohne Anfechtung zu legitimieren. Allerdings kann nicht übersehen werden, dass der Europäische Gerichtshof unter bestimmten Voraussetzungen sogar ein Umgangs- und Auskunftsrecht des (mutmaßlichen) biologischen Vaters statuiert hat, ohne eine bestehende statusrechtliche Bindung des Kindes anzugreifen. In diesem Zusammenhang kann er bereits jetzt die genetische Abstammung untersuchen lassen. Er muss aber eidesstattlich versichern, dass er in der Empfängniszeit der Kindesmutter beigewohnt hat. Ein gegenläufiges Interesse des minderjährigen Kindes ist hierbei allerdings zu berücksichtigen. Insgesamt handelt es sich bei den vorgenannten, aber auch weiteren denkbaren Konstellationen um ein deutlich in Bewegung und Änderung befindliches Rechtsgebiet. Ursache hierfür waren nicht zuletzt die heute zur Routine gehörenden einfachen DNA-Verfahren. Rechtlich gesehen spricht man von einem regelrechten „Grundrechtspool", weil hier regelmäßig Grundrechte der betroffenen Parteien und deren Familie einzubeziehen sowie miteinander und gegeneinander abzuwägen sind. Gesetzgebung und Rechtsprechung sind hier im Fluss. Ob es allerdings sinnvoll ist, hier die Wahrheit wissen zu wollen ist eine  andere Frage.   Rechtsanwalt Dr. Burkhard Schulze
  Quelle: Der Neue Tag vom 17./18.12.2016; Rubrik: Recht im Alltag