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14.09.2012 09:44 Alter: 12 yrs
Von: Der Neue Tag, Frank Werner

Schlamperei bei der Geburt: 200.000 Euro Schmerzensgeld

Mädchen aus Landkreis Neustadt/WN behindert - Urteil gegen Gynäkologen und Krankenhaus


Weiden/Nürnberg (Von Frank Werner). Die heute elfjährige Johanna S. (Name geändert) muss den Fehler eines Gynäkologen und eines Krankenhauses bei ihrer Geburt mit einer hundertprozentigen Behinderung bezahlen. Ihr sprach in zweiter Instanz das Oberlandesgericht Nürnberg 200000 Euro Schmerzensgeld, eine monatliche Rente von 250 Euro sowie den Ersatz sämtlicher künftiger materieller Schäden zu. Der Fall erinnert an die tragische Geschichte des kleinen Felix aus Grafenwöhr, der vor zwei Jahren 250000 Euro Schmerzensgeld rechtskräftig erhielt. Bei ihm führten eine längere Sauerstoffunterversorgung im Mutterleib und eine ungenügende Nachsorge zu schwersten Schädigungen. Das Landgericht Weiden machte einen Gynäkologen und eine Hebamme für die lebenslangen Beeinträchtigungen bei Felix verantwortlich. Ähnlich gelagert ist der Fall von Johanna aus dem nördlichen Landkreis Neustadt/WN. Das im Februar 2001 geborene Mädchen besitzt nach Angaben seines Rechtsanwalts Dr. Burkhard Schulze aus Weiden nur noch 20 Prozent Sehvermögen, ist auf der rechten Seite gelähmt, hat Konzentrations- und Sprachstörungen. Sie wird ihr Leben lang auf fremde Hilfe angewiesen sein. Die tragische Geschichte der kleinen Johanna: Ihre Mutter hatte sich im Februar 2001 mittags zu ihrem Frauenarzt begeben, da sich das Kind im Bauch ihrer Meinung nach ungewöhnlich ruhig verhielt. Dieser überprüfte nach einer Herztonableitung (CTG) die Schwankungen der Frequenz nur mit einem Stresstest, anstatt die Frau sofort in ein Krankenhaus einzuweisen. Der Gynäkologe meinte zur Mutter, dass das Kind möglicherweise nur schlafe. Sie solle sich in eine Klinik begeben, wenn die Wehen zunehmen würden. Eine laut OLG offenbar verhängnisvolle Fehleinschätzung, da das CTG bereits auf eine Notsituation hinwies und eine Dopplerblutflussmessung erforderlich gemacht hätte. Grünes Fruchtwasser Gegen Mitternacht begab sich die Frau tatsächlich in ein Krankenhaus, dessen Geburtshilfeabteilung mittlerweile geschlossen ist. Das dort abgenommene CTG war bereits pathologisch und deutete auf eine bedrohliche Beeinträchtigung des Kindes hin, besonders durch den Abgang von grünem Fruchtwasser. Hier hätte nach Meinung des OLG eine sofortige Mikroblutuntersuchung erfolgen müssen. Durch die Verzögerungen kam das Kind fast 14 Stunden später zur Welt als es offenbar notwendig gewesen war. Zudem verstärkte der erhöhte Sauerstoffbedarf bei der natürlichen Geburt die Probleme des Kindes. Grobe Fehler attestiert das OLG im Urteil dem Gynäkologen und dem Krankenhaus. Das Landgericht Weiden hatte in erster Instanz die Klage im August 2009 noch abgewiesen. Gutachter hatten dort die Auffassung vertreten, dass der Schaden bereits durch eine fetomaternale Bluttransfusion im Mutterleib eingetreten sei, so dass die nachfolgenden Fehler ohne Auswirkung auf den Zustand des Mädchens gewesen wären. Beim OLG führten die weiteren Beweisaufnahmen nun zur Umkehr der Beweislast. Dem Senat schien es unverständlich, dass angesichts der bedrohlichen Lage keine weiteren Befunde erhoben worden waren. Die Beklagten mussten also beweisen, dass ihre Fehler nicht zu einer weiteren Schädigung des Kindes geführt hätten. Diesen Beweis konnten sie nicht erbringen. Mehr als eine Million Euro Dr. Schulze wies nach dem Urteil darauf hin, dass die künftigen materiellen Schäden das Schmerzensgeld um ein Vielfaches überschreiten könne. Da Johanna, die jetzt die dritte Klasse einer Förderschule besucht, wohl niemals eine Berufsausbildung beginnen könne, werde der Lebensarbeitsverdienst  hochgerechnet. Die Summe könne zum Beispiel bei 40 Berufsjahren bei über einer Millionen Euro liegen. Johannas Mutter zeigte sich erleichtert über den OLG-Spruch: „Wir wollten unsere Tochter zumindest finanziell absichern. Wir wollen ja nicht, dass sie als Sozialfall endet." Für Dr. Schulze zeigt das OLG-Urteil auch, dass „Geburtshilfe in kleinen Häusern, die lange Zeit politisch gewünscht war, als überholt anzusehen ist." Geburtszentren mit breit gefächertem Fachwissen wie in Weiden, Amberg oder Regensburg seien nicht mehr wegzudenken. Quelle: Der Neue Tag vom 14.09.2012, Rubrik: Stadt Weiden